Aktuelles

Urlaubsgewährung, Langzeiterkrankung und fehlende Tilgungsbestimmung

In einer weiteren Entscheidung hat das BAG (Urteil vom 23.03.2023, Az: 9 AZR 488/21) nochmals bestätigt, dass Urlaub, der wegen Krankheit lange Zeit nicht genommen worden ist, nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig vor Krankheitsbeginn in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch zu realisieren (BAG 20. Dezember 2022 – 9 AZR 401/19 – Rn. 12).

Besonders bemerkenswert ist diese Entscheidung, da sie Anweisungen enthält, wie mit dem Abbau des Gesamturlaubsanspruchs umzugehen ist, wenn dieser setzt sich aus gesetzlichem Mindesturlaub, tariflichem Mehrurlaub und dem Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen zusammen.

Das BAG hat sich klar positioniert: Sofern eine Tilgungsbestimmung des Arbeitgebers fehlt (der Arbeitgeber sagt nicht bei Gewährung, welcher Urlaub zuerst abgebaut werden soll), gilt § 366 Abs. 2 BGB.

„Nimmt der Arbeitgeber keine Tilgungsbestimmung iSv. § 366 Abs. 1 BGB vor, ist die in § 366 Abs. 2 BGB vorgegebene Tilgungsreihenfolge mit der Maßgabe heranzuziehen, dass zuerst gesetzliche Urlaubsansprüche und erst dann den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Urlaubsansprüche erfüllt werden, um anderenfalls eintretende systemwidrige und dem hypothetischen Parteiwillen widersprechende Ergebnisse zu vermeiden.“

Rechtsanwalt Müller-Benz, hilft ihnen als Fachanwalt für Arbeitsrecht in Freiburg bei Fragen rund das Arbeitsrecht weiter.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Nicht unbedingt – BAG 31.05.2023 – 5 AZR 143/19

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Leiharbeitnehmer keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie Stammarbeitnehmer haben, wenn sich dies aus einem Tarifvertrag ergibt, der eine Abweichung von diesem Grundsatz erlaubt. Die Klägerin, eine Leiharbeitnehmerin, hatte aufgrund des Gleichstellungsgrundsatzes des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) eine Differenzvergütung gefordert. Das Gericht stellte fest, dass das Tarifwerk von iGZ und ver.di in Verbindung mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmer den Anforderungen der EU-Leiharbeitsrichtlinie entspricht. Eine Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern ist demnach zulässig, solange der Gesamtschutz gewahrt wird. Der Ausgleich für diese Ungleichbehandlung kann beispielsweise darin bestehen, dass die Vergütung auch in verleihfreien Zeiten fortgezahlt wird. Das Tarifwerk von iGZ und ver.di erfüllt diese Anforderungen. Zudem trägt der Verleiher gemäß § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten. Die tariflichen Vergütungen von Leiharbeitnehmern dürfen die gesetzlichen Mindestlöhne nicht unterschreiten, und die Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts ist zeitlich auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses begrenzt.

Pressemitteilung zu BAG Urteil vom 31. Mai 2023 – 5 AZR 143/19 –

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BAG 19.01.2023 – 8 AZR 439/21 rechtsmissbräuchliche Bewerbung – AGG

Ein in einem hoch streitigen Kündigungsschutzverfahren ausgeschiedener, schwerbehinderter Mitarbeiter hatte sich bei seinem öffentlichen Arbeitgeber erneut beworben und war zum Vorstellungsgespräch nicht eingeladen worden. Das BAG erteilte dem Kläger, der deshalb eine Entschädigung nach dem AGG verlangte, wegen Rechtsmissbrauchs eine Abfuhr. Der Kläger hatte in dem vorangegangenem Kündigungsschutzverfahren vorgetragen, er sei gemobbt worden und habe „Angst um sein Leben“ gehabt. Das BAG argumentierte: Aufgrund dieser Umstände sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger ernsthaft daran interessiert war, in das belastende Arbeitsumfeld zurückzukehren, unabhängig davon, wer die Konflikte verursacht habe. Die Bewerbung sei daher rechtsmissbräuchlich.

Sehen Sie sich Ansprüchen wegen (vermeintlicher) Diskriminierung nach dem AGG ausgesetzt?

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Keine bauliche Veränderung am Gemeinschaftseigentum ohne Beschluss

Laut einer aktuellen Entscheidung des BGH vom 17.03.2023 – V ZR 140/22 ist eine bauliche Veränderung am Gemeinschaftseigentum ohne vorherigen Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) automatisch rechtswidrig und muss gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB unterlassen werden. Das gilt selbst dann, wenn der Eigentümer einen Anspruch auf die Veränderung hat.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Wohnungseigentümer ohne Genehmigung der WEG eine Grube für den Bau eines Swimmingpools in „seinem“ Garten ausgehoben. Der andere Miteigentümer klagte auf Unterlassung der Arbeiten und gewann in allen Instanzen. Die Gerichte entschieden, dass das Sondernutzungsrecht nicht das Recht umfasst, die Gartenfläche grundlegend umzugestalten. Vor Beginn der Arbeiten hätte daher ein Beschluss der WEG herbeigeführt werden müssen, unabhängig davon, ob der bauende Eigentümer einen Anspruch auf Gestattung der baulichen Veränderung gehabt hätte oder nicht.

Bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum müssen also immer durch einen Beschluss der WEG genehmigt werden, auch wenn kein anderer Eigentümer beeinträchtigt wird oder ein Anspruch auf die Veränderung besteht. Wohnungseigentümer sollten sich vorher informieren, ob sie dazu berechtigt sind, um Zeit, Geld und Ärger zu sparen.

Rechtsanwältin Isabelle Staiger, Tätigkeitsschwerpunkt im Miet- und Wohnungseigentumsrecht

„Rechts vor links“ auf öffentlichen Parkplätzen?!

Nicht nur die verkehrsanwaltliche Praxis, sondern auch alltägliche Beobachtungen des Verfassers belegen immer wieder aufs Neue eindrücklich, dass unter Verkehrsteilnehmern zuweilen eine gewisse Unsicherheit zu herrschen scheint, ob die sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO ergebende Vorfahrtsregel „rechts vor links“ gleichermaßen auf öffentlichen Parkplätzen Anwendung findet.  

Hierzu hat sich der BGH mit Urteil vom 22.11.2022 (AZ.: VI ZR 344/21) deutlich positioniert und hervorgehoben, dass diese Vorfahrtsregel ohne ausdrückliche Vorfahrtenregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO Anwendung finde, es sei denn, die vorhandenen Fahrspuren weisen einen eindeutigen Straßencharakter auf. Ob einer Fahrspur Straßencharakter zukommt, wird danach beurteilt, ob die baulichen Verhältnisse für den Verkehrsteilnehmer vertraute typische Straßenmerkmale erkennen lassen. Entscheidende Merkmale für das Vorliegen einer Straße seien etwa Markierungen auf der Fahrbahn, Bordsteine oder das Fehlen von Parkboxen entlang der Fahrbahn.

Zur Begründung führt der BGH u.a. aus, dass ein öffentlicher Parkplatz als Ganzes betrachtet keine Straße, sondern eine Verkehrsfläche darstelle, die grundsätzlich in jeder Richtung befahren werden darf. Parkflächenmarkierungen vermögen hieran nichts zu ändern. Die auf Parkplätzen vorhandenen Fahrspuren dienen typischerweise nicht der möglichst zügigen Abwicklung des fließenden Verkehrs, vielmehr gehe es um die Erschließung der Parkmöglichkeiten durch Eröffnung von Rangierräumen und der Ermöglichung von Be- und Entladevorgängen. Zudem werden die Fahrbahnen regelmäßig sowohl von Kraftfahrern als auch Fußgängern genutzt.

Auf Parkplätzen von Supermärkten, Bauhäusern oder solchen von Kommunen sollte daher bei der Einfahrt stets darauf geachtet werden, ob ein Hinweis zur Vorfahrtsregelung (z.B. „hier gilt die StVO“) vorhanden ist. Falls nicht, können sich von rechts kommende Autofahrer bei einem Unfall nicht auf „rechts vor links“ berufen.

Rechtsanwalt Michael Thoman, Fachanwalt für Verkehrsrecht mit weiterem Tätigkeitsschwerpunkt im Bau- und Immobilienrecht